Der Canto a Tenore – Eine uralte Gesangstadition auf Sardinien

Sardinien, das auch als “kleiner Kontinent” bezeichnet wird, ist selbst in Zeiten zunehmender Globalisierung noch eine Welt für sich. Hier haben sich uralte Traditionen erhalten, die es in dieser Form nirgendwo sonst gibt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel hierfür ist der Canto a Tenore, eine spezifisch sardische Musikform, deren Ursprünge bis in die Bronzezeit zurückreichen.

Canto a Tenore: die archaischen sardischen Hirtengesänge  werden  immer von einer Gruppe aus vier Männern angestimmt

Der Canto a Tenore ist Männersache

Entsprechend fremdartig klingen diese archaischen sardischen Hirtengesänge, die immer von einer Gruppe aus vier Männern angestimmt werden. Anders als die Bezeichnung “Canto a Tenore” vermuten lässt, handelt es sich bei ihnen jedoch keineswegs um vier Tenöre. Das Wort “tenore” steht in diesem Fall für diese spezielle Gesangsform, die mit Tenorgesang, wie wir ihn aus der Oper kennen, rein gar nichts gemein hat. Jeder der vier Sänger hat eine festgelegte Rolle. Es gibt einen Vorsänger (oche), die “halbe Stimme” (mesu oche), die in etwa einer Altstimme entspricht, den contra (Bariton) und den bassu (Bass). Die Klänge, die die vier Sänger erzeugen, scheinen nicht von dieser Welt zu sein und sind mit Worten schwer zu beschreiben. Man muss diese sardischen Gesänge selbst gehört haben. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert die Gruppe Tenore Supramonte Orgosolo, die hier eine der Höhlen des Supramonte als natürlichen Resonanzraum nutzt:

Klingendes UNESCO-Weltkulturerbe aus Sardinien

Unter Musikwissenschaftlern herrscht Uneinigkeit, wie man den Canto a Tenore klassifizieren soll. Einige ordnen ihn den polyphonen Gesangsformen zu, während andere ihn eher beim Kehlkopf- oder Obertongesang einordnen, wie man ihn beispielsweise aus der Mongolei oder aus Bulgarien kennt. Unstrittig ist hingegen seine kulturhistorische Bedeutung, weshalb der Canto a Tenore von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt wurde.

Begegnung mit den Ursprüngen des Canto a Tenore im Hinterland von Sardinien

Die ursprüngliche Heimat des Canto a Tenore ist die Barbagia, die raue, schwer zugängliche Gebirgsregion im Zentrum und im Osten Sardiniens. Hier lebte seit jeher ein unbezähmbares Hirtenvolk, das sich erfolgreich der Beherrschung durch die Römer entzog und von Cicero im Gegenzug als “Barbaren” bezeichnet wurde, ein Umstand, der die Region ihren Namen verdankt. Noch heute ist die Barbagia eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Europas. Hier wird noch vorwiegend die sardische Sprache gesprochen, und auch andere Traditionen, die anderswo längst verloren sind, konnten sich erhalten. Allen Besuchern Sardiniens, die auf kurzweilige Art tiefer in die Geschichte und Gegenwart des Canto a Tenore eintauchen wollen, sei ein Besuch im “Museo multimediale del Canto a Tenore” empfohlen. Es befindet sich in dem malerischen Bergdorf Bitti im Hinterland der Badeorte Cala Liberotto und Orosei.

Prominente Fans des Canto a Tenore Sardegna: Peter Gabriel und Frank Zappa

Wie lebendig die Tradition des Canto a Tenore auf Sardinien auch heute noch ist, beweisen übrigens die Tenores de Bitti, die bereits mit den Jazzgrößen Lester Bowie und Ornette Coleman sowie den Rockmusikern Peter Gabriel und Frank Zappa zusammengearbeitet haben. Letzterer war ein erklärter Fan des Canto a Tenore, den er liebevoll-spöttisch als “Rindermusik” bezeichnete.

 

Mit einem sardischen „Adiosu“ verabschiedet sich für heute

Ihr Joachim Waßmann

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