Sardinien – Insel unter falscher Flagge?

Sardinien – bei diesem Wort denken wir an Traumstrände, türkisblaues Meer wie in der Karibik und Urlaub vom Feinsten.  Hingegen eher unbekannt ist etwas, worauf jeder Sarde stolz ist, nämlich die Sardinien Flagge, die “Bandiera dei Quattro Mori” genannt wird. 

Übersetzt heißt das: „Flagge der vier Mohren“. Das altertümliche Wort “Mohr” hat freilich heutzutage einen äußerst unguten Beigeschmack, weshalb ich es im Folgenden unter Vorbehalt und in Anführungszeichen verwenden werde. Den Sarden gefällt ihre Flagge  dennoch so gut, dass sie auf der Insel allgegenwärtig ist, weshalb sie beispielsweise auch die Flaschen von Sardiniens bester Brauerei ziert. Die Sardinien Flagge wirft jedoch einige Fragen auf, die ich in diesem Blogbeitrag zu klären versuche.

Die variantenreiche Sardinien Flagge

Seltsamerweise gibt es nämlich mehrere Varianten der Sardinien Flagge. Während die Köpfe mal nach rechts, mal nach links schauen, tragen die Menschen darauf mal eine Kopf-, mal eine Augenbinde. Um das Chaos zu entwirren, hat die sardische Regierung  im Jahr 1999 verfügt, dass die offizielle Flagge Sardiniens die oben abgebildete sein soll. Aber ist dies auch historisch korrekt? 

Die Ursprünge der sardischen Flagge reichen bis ins Mittelalter zurück. Unstrittig ist, dass die roten Linien in Sardiniens Flagge das Georgskreuz darstellen, wobei St. Georg im Mittelalter ein äußerst populärer Heiliger war und den Kreuzfahrern als Symbolfigur diente.

Welche Rolle spielen die vier “Mohren” auf der Sardinien Flagge?

These Nr 1:

Die “Mohren” symbolisieren die Gegner der Kreuzritter, Mauren aus Nordafrika, wobei das Kopftuch sie als Gefangene kennzeichnet.  Allerdings kämpften die Kreuzritter nicht in Sardinien. Außerdem waren die Mauren in Nordafrika beheimatet,  folglich hatten sie mit den Kreuzzügen wenig zu tun. Diese Deutung ist also unwahrscheinlich, weil die Reibungsfläche zwischen Mauren und Christen nicht das Heilige Land, sondern Spanien war. Dieses hatten sie erobert, entwickelt und zivilisiert. Wie kommen das St.-Georgs-Kreuz und die “Mohren” also wirklich auf die Flagge Sardiniens? 

These Nr. 2:

Diese These verweist auf eine Legende, wonach König Peter I. von Aragon im Jahr 1096 eine Schlacht gegen die Mauren nur deshalb gewann, weil in einer entscheidenden Phase St. Georg in den Kampf eingriff und vier Mauren köpfte., Diese Legende hat einen handfesten historischen Hintergrund, denn zu  jener Zeit machten die muslimischen Sarazenen als Piraten das Mittelmeer und auch Sardinien unsicher. Infolgedessen habe man zur Abschreckung die Flagge mit den geköpften Mohren erfunden und auf den vielen Wachtürmen platziert, die überall in Strandnähe zu finden sind. Laut dieser These handelt es sich bei den “Mohrenköpfen” auf der sardischen Landesflagge also um die Köpfe von Enthaupteten. Das ist allerdings eine etwas abenteuerliche Idee, wenngleich man sich damit anfreunden könnte, falls denn die Schlacht in Sardinien stattgefunden hätte. Es ist jedoch verbürgt, dass die Auseinandersetzung in und um Spanien stattfand. Somit hatte Sardinien rein gar nichts damit zu tun. Einziges Argument dafür: Der spanische Regent war in dieser Zeit gleichzeitig auch König von Sardinien.

These Nr. 3:

Die vier “Mohren” stehen für vier Siege der katalanisch-aragonesischen Streitmacht über die Araber. Damals gewann man Saragossa, Murcia, Valencia und Mallorca für die spanische Krone.  Demnach sollen die vier Köpfe auf der Sardinien Flagge symbolisch für diese vier neuen Territorien stehen. Aber auch das ergibt wenig Sinn, denn welchen Grund sollten die Sarden gehabt haben, sich in ihrer Flagge auf dieses Ereignis zu beziehen? Außerdem: Das Verdienst der Befreiung von den Mauren haben nicht die Spanier, sondern die Genueser und Pisaner, die im Jahr 1016 auf Bitten des Papstes in Sardinien intervenierten. Und warum sollte man in der sardischen Flagge die vier neuen Territorien ausgerechnet durch deren Todfeinde symbolisieren?

These Nr. 4

Laut der vierten These ist die Flagge noch viel älter, demnach stammt sie aus dem 9. Jahrhundert. Damals gehörte Sardinien noch zum oströmischen Reich. Allerdings dämmerte Sardinien damals in einem Dornröschenschlaf dahin, denn die im fernen Konstantinopel mit sich selbst beschäftigen Byzantiner waren in dieser Zeit schon viel zu schwach, als dass sie noch Einfluss auf die Insel hätten nehmen können. Erstmalig entstanden in diesem Machtvakuum politische Strukturen, die zu Selbstverwaltung und Autonomie führten. Vier Distrikte bildeten sich heraus, denen jeweils ein Richter als oberste Autorität vorstand. Sie sind darum als „Judikate“ in die Geschichte eingegangen. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Judikate kein eigenes Wappen geschaffen hätten.

Fazit zur Sardinien Flagge

Wenn dem so ist, dann liegen die Ursprünge der ersten sardischen Flagge weder bei den Kreuzrittern noch bei den Spaniern. Sie reichen weiter zurück, nämlich in die Zeit der Judikate. Damit dürften die drei anderen Theorien unzutreffend sein. Denn was  hätte für die neuen Herren der Insel näher gelegen, als ein Wappen zu wählen, das die vier Judikate darstellt? Alles spricht dafür, nichts dagegen, und damit steht für mich fest: Die Flagge stellt die vier Judikate dar.

  • Die Sardinien Flagge bedient sich des Kreuzes des heiligen Georg, weil sich der Popstar unter den mittelalterlichen Heiligen als Integrationsfigur anbietet. Außerdem zeigt auch die Standarte des Kaisers von Byzanz das Georgskreuz, weshalb man unterstellen darf, dass die Judikate bei der Gestaltung Ihrer Flagge so geschichts- und traditionsbewusst handeln wollten wie alle „Flaggenentwickler“ das tun.
  • In jedes Feld wurde dann für jeden Richter genau eine Justitia platziert, was, wie wir wissen, die Dame mit der Augenbinde ist. Sie will blind sein, um unbeeinträchtigt von allen Einflüssen Recht sprechen zu können. Weil auch die Flaggenvariante mit der Augenbinde überliefert ist, darf man die Interpretation, es handele sich um Mohren mit Kopfbinde, getrost ins Reich der Fabel verweisen. Wenn nämlich die Mohren wirklich maurische Krieger wären, würde man sie  mit kriegerischer Kopfbedeckung abbilden und nicht mit einem Stirnband. Den Mauren dieses Tuch zu verpassen, macht auch darum keinen Sinn, weil es ein Accessoire ohne Bedeutung wäre. Symbolkraft ist jedoch für die Flaggen aller Staaten dieser Welt das A und O, weshalb selbst kleinste Details hier eine Bedeutung haben.

 

Mithin: Die eigentlich richtige sardische Flagge müsste die vier Judikate und je eine Justitia mit verbundenen Augen abbilden. Wenn dies jedoch der Fall ist, würde Sardinien heutzutage unter einer zwar immer noch schönen, leider aber falschen Flagge segeln.

 

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann