Fisch oder Fleisch – Agriturismo Teil 2

Ein Sardinienurlaub ohne Besuch im Agriturismo ist nach Meinung von Feriengästen nicht komplett. Zwar kommen Figurbewusste ob der angebotenen Köstlichkeiten regelmäßig in Gewissenskonflikte, entscheiden sich aber immer für die Kalorien und tafeln kräftig mit.

Es gibt nicht nur einen Typ von „Agriturismo“. Er wird von Bauern, Hirten und Fischern angeboten, und das führt naturgemäß zu Variationen des gleichen Themas. Hier die Menüs:

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Essen auf dem Bauernhof: Hier wird das reichhaltigste Menü aufgetischt. Sardischen Höfe bieten noch das richtige Bauernhof-Feeling. Da gibt es all die Tiere, die auf jedem Spielzeug-Hof zu finden sind: Milchkühe, Rinder, Schweine, Kaninchen, Hühner usw. Hinter dem Bauernhaus gibt es Gemüse-, Kartoffel- und Weizenfelder. Natürlich gehört auch ein Weinberg dazu. Man versucht, möglichst viel selber zu produzieren, um Geld für andere Dinge übrig zu haben!

Das Menü hat diese Reihenfolge:

Appetizer – Nudeln – Fleisch – Süßes, Obst, Käse – Kaffee – Schnaps

Beim Bauern wird als Vorspeise klassisch das „Antipasto di Terra“ gereicht: Sardisches Fladenbrot, im Holzofen angeröstet und mit Olivenöl vorsichtig benetzt, Wurst, Schinken, und andere Leckereien aus der Hausschlachtung, Oliven, Gurken, Fenchel und alles, was gerade geerntet werden kann. Mitunter kommen 10 und mehr Vorspeisen auf den Tisch, und nicht selten kapitulieren unsere Gäste nach dem ersten Gang,  weil sie bei den Vorspeisen aus lauter Begeisterung zu viel essen.

Als Nudelgang gibt es üblicherweise sardische Ravioli, Gnocchetti Sardi und Zuppa Gallurese. Die Ravioli werden mit frischer Ricotta und Kräutern gefüllt. Dazu Tomatensauce und Reibekäse.  Gnocchetti sind kleine Nudeln, serviert mit einer Tomaten-Salsiccia-Sauce. Zuppa Gallurese müsste man eigentlich als Brotsuppe bezeichnen. Allerdings wird diese Bezeichnung dem Gericht überhaupt nicht gerecht. Es ist mein absolutes Lieblingsgericht, das ich mir immer wünsche, wenn ich einen Essenswunsch frei habe. Es besteht aus altem Brot, Mozzarella und frischen Kräutern, die geschichtet, mit einer kräftigen Fleischbrühe übergossen, mit Schafskäse bestreut und überbacken werden.

Danach gibt es Spanferkel, Milchlamm und anderes Fleisch vom Grill. Dazu Beilagen aus dem Garten.  Das Dessert bildet Kleingebäck, bei dem die wenigen „eigenen“ Zutaten höchst phantasievoll kombiniert werden: Mandeln, Nüsse, Ricotta, frischer Käse, Honig, Orangen, Limetten, Früchte, Blüten und Gewürze. Richtig typisch sind „Seadas“:  Fein abgeschmeckte Ricotta wird in Nudelteig gehüllt, in Öl gebacken und in Honig gewälzt.  Oder Amaretti: Das sind Kekse aus Mandeln, unseren Makronen ähnlich. Oder Arancini: Das sind Kekse, die aus eingelegten Orangenschalen gebacken werden.

Begleitet werden die Speisen von reinem Quellwasser und Wein.  Der Espresso zum Schluss darf nicht fehlen, und danach gibt es noch Grappa, Zitronen- und Myrtenlikör. Dazu muss man wissen, dass nichts „zugeteilt“ wird. Jeder bekommt das, was er möchte und so viel er will.

Ort der Veranstaltung: Die gute Stube des Bauern, manchmal für Gäste „erweitert“, aber auch lauschige Terrassen mit Blick in die Landschaft.

Etwas rustikaler geht es bei den Hirten zu. Die leben im Sommer ja nicht in ihrem Dorf, sondern begleiten ihre Herde in die Berge. Hier haben sie sich provisorische Hütten errichtet, indianischen Tipi nicht unähnlich, und verbringen ihre Zeit in freier Natur mit Schaf-, Ziegenzucht und Käseproduktion. Das ist ein sehr hartes Dasein, wenn man bedenkt, dass eine Herde selten weniger als 200 Tiere hat, die Tag für Tag zweimal gemolken werden müssen.  Wenn sie sich trotzdem die Zeit nehmen, Gäste zu bewirten, dann spielt neben der Verbesserung der Einkünfte das Verlangen eine Rolle, in das Einsiedlerdasein ein wenig Abwechslung zu bringen.

Nähme man den Agriturismo-Gedanken sehr ernst, nur Selbstproduziertes servieren zu dürfen, dann wäre das Hirtenmenü ein sehr karges. Darum wurde hier, übrigens auch bei den Fischern, die Ausnahmeregelung getroffen, dass bei den Bauern der Umgebung eingekauft werden darf.  Das Hirtenmenü ähnelt daher dem des Bauern, allerdings gibt es keine Küche mit Herd. Es wird daher am offenen Feuer gebraten, gegrillt und gekocht.  Als ersten Gang gibt es hier „Patate in capotto“. Dazu wird ein Schaf oder eine Ziege geschlachtet, zerlegt und in einem großen Kupfertopf über offenem Feuer gekocht. Zum Ende der Garzeit werden Kartoffeln, Zwiebeln, Fenchel, Kohl, Karotten und anderes Gemüse hinzugefügt.  Ein fast „deutscher“ Eintopf, bei dem die Sarden zu meinem Leidwesen auf den Genuss der herrlichen Brühe verzichten. Natürlich haben die Hirten heutzutage auch leckere Nudelgerichte im Programm.

Beim Dessert freue ich mich auf Speisen, die die Umgebung liefert. Da wird zum Beispiel superfrische Ricotta auf einem Salatblatt serviert.  Oder das Salatblatt wird mit wildem Honig beträufelt. Beides hört sich banal an. Der Reiz liegt aber in der Frische der Zutaten. Eine gerade geschöpfte Ricotta ist nicht zu vergleichen mit der, die wir im Supermarkt kaufen. Wilden Honig auf Salatherzen muss man probiert haben. Dazu noch Feigen vom nächsten Baum: Köstlich!

Jetzt noch das Fischer-Menü. Die Sarden sind vielleicht das einzige Inselvolk auf der Welt, bei dem die Fischerei ein Schattendasein führt. „Alles Übel kommt über das Meer“, sagt ein sardisches Sprichwort. Wer die Geschichte kennt, weiß, dass die Sarden tatsächlich immer Opfer von Invasoren waren, die über das Meer gekommen waren. Es gibt darum an der gesamten Ostküste nur einen einzigen Fischer, der sich dem Agriturismo verschrieben hat.  Er hat sein Revier in den Brackwasserseen von San Teodoro, und wer ihn abends besucht, findet nicht nur gutes Essen, sondern auch Romantik pur.

Sein Menü variiert das Bauernmenü. Überall, wo der Bauer Fleisch serviert, ersetzt der Hirte es durch Fisch. Als Vorspeisen „Antipasti di Mare“: Das gibt es allerlei rohes Getier, Austern, Muscheln, Thunfisch. Aber auch Gegartes kommt auf den Vorspeisenteller. Besonders beeindruckt haben mich die „Moscardini alla Diavola“, kleine Tintenfische, pikant in Tomatensoße zubereitet. Als Pastagang werden natürlich Nudeln mit Muscheln und Meeresfrüchten kombiniert. Da gibt es „Spaghetti alle vongole“, aber auch die sardische Spezialität „Bottarga“. Könnte man mit Kaviar übersetzen, weil es sich um Fischeier handelt. Differiert aber insofern, als dieser Kaviar nicht vom Stör, sondern vorzugsweise von der Meeräsche stammt und wie Schinken gesalzen und luftgetrocknet wird. Die Meeräsche macht es dabei umgekehrt wie der Lachs. Die kommen zum Laichen aus dem Meer in Bergbäche. Meeräschen aber ziehen in die Brack- und Süßwasserseen der Uferzonen, weil die besonders nährstoffreich sind. Erst wenn sie sich dick und fett gefressen haben, zieht es sie zum Laichen wieder ins Meer. Dann versperren die Fischer den Weg zurück und fangen sie in großen Mengen.

Die Eier der Meeräsche (Bottarga) kommen als Vorspeise auf den Tisch, zum Beispiel als Carpaccio mit rohenArtischocken. Sie machen sich aber auch hervorragend, wenn man sie wie Parmesankäse über „spaghetti, aglio e olio“ reibt oder sie ganz schlicht mit geröstetem Fladenbrot isst. Den Hauptgang bilden frischer Fisch und die ganze Palette von Muscheln, Krabben, Hummern und Langusten – frittiert, in Salzkruste, vom Grill, in Weinsauce, alla catalana oder sizilianisch. Ich erspare mir weitere Rezepturen. Verkostet es selber; denn Probieren geht über Studieren!

Das Dessert, wen wundert´s, ist eine exakte Kopie des Bauernmenüs. Oder würden Sie gern Tiramisu als „Fisch-Süß“  probieren wollen?

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann