Wilder Spargel auf Sardinien! Unglaublich lecker und kostenlos!

Endlich wieder Spargelzeit! Auf Sardinien gibt es ihn umsonst. Kost nix, wirklich! Man muss ihn nur suchen und finden, und dafür gilt: Der frühe Vogel pickt den Wurm. Also dann, rasch an der nächsten Bar italienisch gefrühstückt, und dann raus in Gottes schöne, freie Natur! Die Suche verläuft typisch sardisch:

Die besten Stellen sind die von meinem Ferienhaus ins Hinterland führenden Wege. Die sind von Brombeerbüschen gesäumt. Hier finde ich sie, die kleinen grünen Stängelchen, die sich im Schutz stacheliger Büsche den Weg zum Licht suchen: An der Spitze fünf bis fünfzehn essbare Zentimeter lang, nur etwas dicker als ein Strohhalm, aber reich an Spargelgeschmack. Fünf Gramm geballtes Aroma pro Trieb, unvergleichlich! „Das soll Spargel sein?“, fragt mich enttäuscht und entgeistert mein Sardinien-unerfahrener Schwager Wulf, der bei der Ankündigung der Spargelsuche wohl an weiße, wassergeschwängerte Stangen aus deutscher Zucht gedacht hatte. „Na klar ist das Spargel, hier probiere!“ Tatsächlich ist auf Anhieb wenig Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Produkt deutschen Bauernfleißes zu erkennen. Aber das Aroma! In jedem Millimeter der kleinen grünen Stängel steckt die Kraft von Metern der optisch überlegenen germanischen Brüder! Das räumt auch Wulf ein, als er den von mir angebotenen Roh-Test macht.

Nach einer Stunde haben wir wohl dreihundert Gramm zusammen, und ich beschließe, dass das für heute reichen soll. „So wenig?“, mault Wulf, „da lohnt ja das frühe Aufstehen nicht.“ Ich lasse seinen Einwand unbeantwortet und ziehe ihn hinter mir her, zurück zur nächsten Bar. Man muss wissen, dass die italienische Bar Dreh- und Angelpunkt allen sardischen Seins ist. „Trovati?“ fragt mich die Barista, und ich halte triumphierend mein Bündchen hoch. Wulf wäre ob der Unverfrorenheit, mit der doch recht übersichtlichen Menge zu prahlen, am liebsten im Erdboden versunken, wurde aber mit einem deutlichen „Belli, complimenti“ der Barfrau seiner Peinlichkeit enthoben. (Hierzu muss man wissen, dass asparagi männlich sind und „schöne Spargel“ folglich „asparagi belli“ heißen. Die Barfrau hat mir also bezüglich meines Fundes ein „Kompliment“ gemacht.) Salvatore vom Nachbartisch schiebt naturgemäß die Frage nach, wo ich die denn gefunden hätte. Was ich ausweichend beantworte. Wer verrät schon „seine Stellen“?

Wie es sich gehört, gibt es zur Belohnung ein zweites italienisches Frühstück. Nach dem frühmorgendlichen Cappucino mit Hörnchen nun ein „cafè corretto“ für mich und Schwager Wulf. Der mault zwar wegen der in seinen Augen viel zu frühen Grappazugabe in den Espresso, nimmt ihn dann aber doch mit sichtbarer Freude zu sich; denn „im Spargel“ war es doch ziemlich kalt. Trotz strahlenden Sonnenscheins. Wir schreiben den 20. Januar! Da wärmt ein Irish-Coffee auf sardische Art! Dazu muss man wissen, dass wir am Vorabend mit dem gesamten Dorf das sardische Frühjahrsfeuer zu Ehren des Hl. Antonius entzündet hatten und demzufolge noch geringe Alkohol-Rest-Abbau-Probleme hatten. Wulf hätte lieber das Bett gehütet, als sich die Hände in den Brombeeren zerstechen zu lassen.

Völlig versöhnt war mein Schwager aber mit seinem Schicksal, als der zufällig anwesende Salvatore die Runde übernahm und uns erklärte, dass man das leckere Gemüse nur auf eine einzige Art und Weise „richtig“ zubereite. „L´unica ricetta vera“, natürlich von der „Mamma“. Es folgte ein umständlicher Vortrag zum Spargel im Allgemeinen und zum Spargel im Besonderen, und weil sich in einer sardischen Bar kaum etwas trocken erklären lässt, wurde dazu ein „Vinello“ geordert. Vermentino, versteht sich, zur Vorfreude auf den Spargel. (Für Nichtsarden: Das ist ein typisch sardischer Weißwein, der in seinem Facettenreichtum an Riesling erinnert.)

So ist sardisches Leben! Südländische Leichtigkeit! Zeit haben und miteinander reden können! Das ist es: Nicht die Anonymität eines Kaffeehausbesuches, bei dem man sich hinter der Zeitung verschanzt und den Mund nur zur Getränke-Einnahme öffnet, sondern Teil einer Gemeinschaft zu sein. Ein Kommen und Gehen, für jeden ein Lächeln, ein paar Worte und ein „Cincin“. So vergeht die Zeit zwar nicht leise, aber leicht und locker. So vergeht sie auch an diesem Januarmorgen; denn selbstverständlich hat Efisio vom Nachbartisch Salvatores Vortrag gehört. Dessen Rezept, räumt er ein, sei zwar nicht schlecht. Er wolle das um Gottes Willen nicht kritisieren, aber eigentlich sei doch die Art, wie seine Mama den „Asparago selvatico“ zubereite, eine sehr viel „elegantere“ Art und Weise, sich diesem Gemüse zu nähern. Über seinen Vortrag wird es 12.00 Uhr, es kreisen noch einige Vermentini, und als sich mit Andrea ein dritter Spargelkenner einzuschalten droht, breche ich – eigentlich mehr meines Schwagers wegen – mit Hinweis auf dringende Erledigungen den Diskurs ab.

Dem geneigten Leser will ich das Ergebnis unseres akademischen Diskurses jedoch nicht vorenthalten:

Der spitzblättrige Spargel ist ein immergrüner, kletternder Halbstrauch, der schon seit Jahrhunderten von Ende Januar bis Ende April auf der Insel als Gemüse geerntet wird. Inmitten duftender Macchia, kleiner Eukalyptuswälder und am Wegesrand findet man ihn. Zart und dünn sind die Stangen des wildwachsenden Asparagus, den es erst einmal in den Sträuchern auszumachen gilt. Auf den ersten Blick scheinen die Spargelsprossen nämlich eher ein wild wucherndes Gewächs oder Unkraut zu sein. Gebrochen werden nur die Spitzen, und zwar genau so weit, wie die Stängel noch nicht beginnen, holzig zu werden.

Der Spargel nach Art des Salvatore ist ein schlichtes Omelett. Dazu wird der Spargel in Olivenöl in einer breiten Pfanne geschmort, und zwar so kurz, dass er noch al dente ist. Kein Blanchieren, kein Kochen. Das Aroma bleibt zu 100% erhalten! Die mit Wasser oder Milch verquirlten Eier darüber geben. Den Garvorgang abbrechen, wenn die Eier noch nicht ganz gestockt sind. Mit etwas Pecorino bestreuen. Fertig! (Natürlich wird das Omelett zuvor mit ein wenig Salz abgeschmeckt.) Salvatore bevorzugt dazu „Pane Carasau“, aber das ist leider in unseren Breiten schwer erhältlich.

Efisio musste natürlich dem schlichten ein raffiniertes Rezept gegenüber stellen. So verlangen das die ungeschriebenen Gesetze der Barkultur. Er schwört daher auf Mammas Huhn-basierenden Sugo, der mit der typischen Sarden-Nudel „Maloreddus“ auf den Tisch kommt. Dazu nimmt die Mamma Hühnerbeine, von denen zuvor die Zehen und Hornhäute sauber abgesengt wurden. Die werden in Tomatensauce versenkt und bei kleiner Flamme mehrere Stunden geköchelt. Ganz zum Schluss kommen die kleingeschnittenen Spargel dazu und dürfen weitere 20 Minuten mitköcheln. Dann werden die Hühnerbeine entsorgt, der Sugo mit der Pasta vermischt und reichlich Pecorino darüber gestreut.

Ich habe beide Rezepte nachgekocht und gebe beiden das Prädikat „hervorragend“. Jawohl, ich habe auch die Geschichte mit den Hühnerbeinen ernst genommen und darf sagen, dass mir niemals ein besserer Hühnersugo gelungen ist. (Da es in D. schwer ist, an Hühnerbeine zu kommen, habe ich es auch mit Hühnerklein ausprobiert. Das Ergebnis ist ein klarer Sieg für die Beine. Wer also Gelegenheit hat, z.B. in Chinaläden Derartiges zu kaufen, greife zu!)

Dass jeder Tomatensugo Petersilie, Knoblauch, Karotten, Zwiebel und Sellerie als Basis braucht, erwähne ich hier nur der Vollständigkeit halber. Natürlich können auch Peperoncino, Basilikum, Lorbeer und Nelke Verwendung finden. Für alle diese Zutaten gilt aber, dass weniger mehr ist. Ganz im Gegensatz zum Olivenöl. Da gilt ganz eindeutig das „mehr ist mehr-Prinzip“. Verwenden Sie es großzügig! Wenn Sie all diese Zutaten bei kleiner Flamme so lange simmern, bis ein sämiger Sugo und nicht etwa ein Tomatenkonzentrat entstanden ist, haben Sie schon fast alles richtig gemacht. Beachten Sie dann nur noch, dass der Hauptbestandteil aller Pastagerichte die Nudel in irgendeiner Form ist, der zur Abrundung ein „Sugo“ beigegeben wird. Daher Vorsicht bei der Zugabe der Soße! Ertränken Sie den schlicht-schönen Geschmack einer guten Nudel nicht mit zu viel Soße, wie es in unseren Breiten leider allzu oft gang und gäbe ist! Guten Appetit!

Mit einem sardischen „Adiosu“ verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann